Iwan, Schüler der Oberstufe eines Gymnasiums in Weimar, leidet unter den Repressionen seines rechtsgerichteten Kleinstaates. Dass er eine Nacht lang verbotenerweise mit den gefährlichen Homsarecs Party gemacht hat, fällt ihm nun auf die Füße.
In der
großen Pause sprang ich also aus dem Klofenster und lief nach Hause.
„Papa, es tut mir so leid, dass ich dir Probleme mache”,
rief ich schon im Flur, als ich ihn in der Küche sitzen sah, im
Bademantel, also aus dem Bett geholt; aber da war noch jemand. Es
war ein Besucher, den ich am allerwenigsten erwartet hatte, und der
rauchte zusammen mit Papa eine Selbstgedrehte und trank Kaffee-Ersatz
mit ihm. Er hatte eine Arbeitshose und ein fleckiges Hemd an, eine
Schirmmütze mit der Marke der staatlichen Baufirma ‘Richtfest’
auf, drehte sich zu mir um, und ich erkannte — Isatai.
Mein
erster Gedanke war, umzudrehen und wegzurennen. Aber vielleicht ließ
ich damit Papa im Stich, den der da offenbar unter Druck setzte.
„Er
will mich holen, und Papa redet es ihm aus”, dachte ich.
„Ach,
Iván”, — und er drehte sich wieder zu Isatai, „du kennst ihn
ja schon. Iván, das ist Isatai, mein Ex-Schwager.”
Wot. Das
war krass.
„Wir müssen eine Entscheidung treffen”,
sagte Papa, „bevor Alida von der Arbeit kommt, bevor Mina aus der
Schule kommt. Ich wollte nicht, dass du mit ihnen Kontakt aufnimmst,
auch weil ich dann wieder mit Schikanen rechnen muss. Vor allem aber,
weil Mama mir die Hölle heiß macht, wenn ich nicht alles tu, um das
zu verhindern.”
Ich winkte Papa zu, in den Flur zu kommen, und
zog ihn ins Bad, wo man die Tür richtig zumachen konnte.
„Aber
die Homsarecs sind pervers, Papa, du hattest recht mit deiner
Warnung. Du bist ihnen doch auch weggelaufen, oder?”
Er
lächelte. „Nein, das hing anders zusammen. Isatai hat vorgeschlagen, dich zu schützen. Wenn ich dich Isatai übergebe, wirst du sicherer sein als hier. Du könntest gleich mit ihm gehen”,
überlegte er.
Wie jetzt — erst sollte ich mich
unbedingt fernhalten, und nun gibt er mich Isatai?

In diesem Moment wurde mein Vater förmlich ein anderer für mich.
Protest wallte in mir auf. Der Gedanke, er gebe mich weg an die
Homsarecs, löste erst Panik aus, dann plötzlich massive Geilheit.
Er schenkt mich ihnen wie einen Gegenstand! Er gibt mich zur
Aufbewahrung! Ich atmete schwer und starrte ihn an.
Dann siegte
wieder die Vernunft.
„Den Bock zum Gärtner machen?”
platzte ich raus.
„Er wird dir nichts tun, was du nicht
willst. Keine Sorge, ich gebe dich ihm als eine Art Adoptivkind,
nicht fürs Bett, was denkst du von mir. Es ist bei ihnen üblich,
dass man die Kinder seinem besten Freund gibt, wenn sie alt genug
sind, und das bist du. Und du hast gegen alles ein
Widerspruchsrecht. — Vielleicht gehst du erstmal zur
Schule zurück, und er holt dich in den nächsten Tagen von dort,
dann merkt niemand, dass ich einverstanden bin...”
„Ich
muss aber doch heute zum Haareschneiden”, kam es so raus wie ein
Hilfeschrei.
„Wieso bist du denn dann hier, Wanja? Ich habe
mich schon gewundert, dass du so früh aus der Schule kommst.”
„Ach,
du unterstützt mich auch nicht!!”
„Iván, ich habe nicht
die Macht dazu. Manchmal muss man nachgeben, um sich vor Schlimmerem
zu bewahren. Vielleicht stehen kurze Haare dir sehr
nett...”
„Pa!!”
„Entschuldige, Wanja.”
Ich war noch so voll von Fragen,
aber ich schwieg. Etwas hielt mich zurück; vielleicht war es das
Gefühl von etwas Wunderbarem, das ich nicht allzu rasch enthüllen
wollte; ja, ich genoss das Vorgefühl von unendlichen Möglichkeiten,
das Licht in meinem Kerker der Einschränkungen, die silbernen
Strahlen der Freiheit.
Und nun unterrichtete er mich eilig. Er
sprach schnell und leise und beinahe hastig.
„Wenn du schon
so viel gesehen hast und es dir gefällt, dann müssen wir auf alle
Fälle verhindern, dass die staatlichen Stellen dich noch einmal in
die Finger bekommen, denn dann bist du in großer Gefahr...”
Er
verstummte und schaute mich nur vielsagend an.
Wir
kehrten in die Küche zurück. Isatai saß noch immer da, inzwischen
ohne Mütze, und seine Zöpfe hingen über seine Schultern. Er sah
wirklich aus wie ein indianischer Bauarbeiter.
„Isatai”,
sagte Papa, „im Angesicht Gottes gebe ich dir meinen Sohn zum
Pais.” Er nahm meine Hand und legte sie in die von Isatai. „Mama
wird mich töten”, setzte er hinzu.
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