Belletristik und Sachliteratur zu BDSM und mehr

Leseprobe Band 2: Die Mantras der Blinden


Der Doge hat Isegrim gebeten, eine Goldstickerin ausfindig zu machen, die er von früher kennt, aber er weiß weder, wo sie lebt, noch, wie sie inzwischen heißt.


Er rannte zu seinen Telefonbüchern und schlug noch einmal nach. Paloma Günay, da war sie. Der Name war ihm schon aufgefallen, aber er hatte ihn verworfen. Isegrim schlug das Herz im Hals, als er zum Telefon griff und die Nummer wählte.
Ein Mann meldete sich. »Efendim?«
»Guten Tag, kann ich bitte mit Paloma Günay sprechen?«
»Wer sind Sie?«
»Isegrim von den Wölfen.«
»Canim, bir kurt seninle konusmak istiyor.«
»Was? Ein Wolf will mich sprechen? Gib mir den Wolf. — Guten Tag. Hier spricht Paloma Günay, was kann ich für Sie tun?« sagte eine Frauenstimme in perfektem Deutsch.
»Sind Sie Goldstickerin?«
»Nein.«
Isegrim dachte, er würde zusammenbrechen.
»Ich war es früher, aber ich habe das aufgegeben.«
»Würden Sie trotzdem einen Auftrag übernehmen?«
»Das kann ich nicht.«
»Bitte! Der Auftrag käme vom Dogen in Sukent... oder Venedig... Hallo? Sind Sie noch da?«
»Oh, ich weiß, wo Sukent liegt.«
»Sie sind meine ganze Hoffnung.«
»Junger Freund, es ist mir nicht möglich.«
Isegrim tat einen tiefen Seufzer. »Wenn es um Geld geht — das spielt keine Rolle. Und stellen Sie sich mal vor: Die Ehre — Ihr Name...«
»Es geht nicht!« wiederholte sie, »ich bin erblindet. Darum steht auch nichts mehr im Branchenbuch oder im Telefonbuch. Ich wundere mich sehr, daß Sie mich gefunden haben, eigentlich ist das unmöglich.«

»Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie belästigt habe«, murmelte Isegrim betrübt. Er wünschte »noch einen schönen Abend« und legte auf.
Und an den Dogen faxte er: »Euer Exzellenz, Stickerin ist leider erblindet, soll ich eine andere suchen?«
Die Antwort des Dogen war »Nein!«
Das mußte geklärt werden. Er griff zum Telefon und hoffte, man werde ihn zum Dogen durchstellen. Offenbar war dieser gerade im Büro, also klappte es. Erst einmal fragte Tanguta ihn lang und breit über die Fortschritte aus, die sein Arm mache, und freute sich sehr darüber. Dann zum Stickauftrag.
»Cochise soll dich nach Berlin fahren«, sagte der Doge, »ihr nehmt die Robe mit und fahrt zu Paloma. Ihr habt die Richtige gefunden. Nur sie kann es machen. Legt ihr tausend Bayerische Mark auf den Tisch, habt ihr genug Reserven?«
»Ja, vom Gemüseverkauf her ist genug da.«
»Ich überweise das sofort an das Konto der Kranich-Sippe. Und dann sagt ihr Paloma, sie soll nach Gefühl sticken, was das Zeug hält. Einfach nach ihrem Tastsinn. Sie ist damals aus Sukent weggegangen, um ihren Diabetes in Deutschland behandeln zu lassen, aber wahrscheinlich hat ihre Familie auf sie Druck ausgeübt, daß sie nicht wieder in diesen Sündenpfuhl zurückkehrt. Ich mußte dich leider bei der Suche im Stich lassen, denn sie hat angekündigt, ihren Namen zu ändern, und das hat sie getan, niemand wußte, wie sie sich jetzt nennt. Eigentlich heißt sie Sibel Marathonidis, das hätte dir aber nichts genützt. Ich wußte also auch nicht mehr als du.«
»Und sie soll nach Gefühl sticken? Wo sie doch nichts mehr sieht? Wie kann das gehen?«
»Sie kann sowas. Ich weiß es. Sag ihr, es ist dringend.«

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